Eine „gute Mutter“ – was ist das?
„Nur wer stillt, ist eine gute Mutter.“ Dieses Narrativ hält sich leider hartnäckig und führt regelmäßig zu vehementem Mom Bashing auf diversen Social Media Kanälen.
Da argumentieren „Still-Mamas“ gegen „Flaschen-Mamas“, „Trage-Mamas“ gegen „Kinderwagen“-Mamas und „SAHMs“ (Stay at home mom) gegen „Working moms“.
Attachment Parenting als Nonplusultra
Als Stillberaterin sehe ich mich durchaus oft konfrontiert mit hochgezogenen Augenbrauen, zumal angesichts der langen Stilldauer meiner eigenen Kinder.
Ist Stillen nicht irgendwie öko? Getragen habe ich meine Kinder auch noch statt Kinderwagen und aus dem Elternbett ausgezogen sind beide erst nach dem dritten Geburtstag.
Da ist man schnell beim „heiligen Dreiklang“ Stillen-Tragen-Familienbett, vor allem im „Attachment Parenting“ Umfeld.
Ich schreibe bewusst „heiliger Dreiklang“, denn von einigen wird diese Art mit den eigenen Kindern umzugehen, als das Nonplusultra, als „das Beste“ hervorgehoben. Überspitzt formuliert könnte man daraus fast die Message ableiten: wer nicht still-trägt-familienbettet ist überhaupt nicht bedürfnisorientiert und eine gesunde Eltern-Kind-Bindung kann sich dann gar nicht entwickeln.
Ich finde solche Pauschalierungen so traurig und schade, denn es fördert noch viel mehr das Mom Bashing und hilft weder Eltern noch den Kindern.
Definition einer "guten Mutter"
Die Definition von „eine gute Mutter sein“ wäre damit also, wenn eine Mutter dem eigenen Baby „das Beste“ gibt. Kann man das so stehen lassen?
Nein, natürlich nicht, denn die Fragen lauten: was ist eigentlich „das Beste“? und wer definiert das?
Meine Ansichten dazu:
Der Aufbau einer guten (sicheren) Bindung hängt nicht davon ab, ob ein Kind gestillt wird oder die Flasche bekommt. Ja, die Stillhormone erleichtern es der Mutter, eine Bindung aufzubauen. Daraus kann man aber umgekehrt nicht folgern, dass ohne Stillen ein Bindungsaufbau nur schwer möglich wäre. Es ist auch möglich, bindungsorientiert Flasche zu geben.
Alles ist möglich
Desweiteren gibt es ja nicht nur die beiden Modelle „Stillen“ oder „Flasche geben“. Beide Arten der Säuglingsernährung sind auch in Kombination mit jeder denkbaren Gewichtung der beiden Anteile möglich. Ein Baby kann zeitweise voll gestillt werden oder auch zu Anteilen mit der Flasche gefüttert werden. In dieser Flasche kann abgepumpte Muttermilch sein oder Milchersatzpulver oder beides gemischt. Alles ist in jeglicher Kombination möglich und die Anteile können sich auch wieder verschieben. Ist ein Baby, das z.B. nachts vom Papa mit der Flasche gefüttert wird einmal krank, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass dieses Baby während der Krankheits- und Genesungsphase zeitweise ausschließlich stillt – um danach wieder zu einem Stillen-Flasche-Rhythmus zurück zu finden.
Alle Bedürfnisse sind wichtig - auch die der Eltern!
Ebenso ist das Tragen eines Baby im Tuch oder in der Tragehilfe kein Garant für eine sichere Bindung. Ja, auch hier gilt: es kann es der Mutter erleichtern, das Baby nah am Körper zu haben, u.a. weil dann schnell auf die Signale des Babys reagiert werden kann. Aber es gilt eben auch: einige Baby mögen einen zu engen Körperkontakt einfach nicht und betrachten die Welt lieber vom Kinderwagen aus – gerne natürlich auch auf dem Bauch liegend, damit die Welt betrachtet werden kann 😉 Oder die Mutter kämpft sowieso schon mit Rückenschmerzen und würde diese durch das Tragen des Babys noch verschärfen.
Alle Bedürfnisse sind wichtig – auch die der Eltern!
Ein Familienbett kann praktisch und hilfreich sein. In den ersten Wochen und Monaten ist der Platz im eigenen Bett im Schlafzimmer der Eltern (Co-Sleeping) oder direkt im Bett der Eltern (Co-Beding; unter bestimmten Voraussetzungen) für das Baby sogar der sicherste Schlafplatz.
Doch was ist, wenn aus Platzgründen kein Familienbett möglich ist? Oder der Schlaf der Eltern nachts ständig durch ein sehr unruhig schlafendes Kind gestört wird?
Wer bestimmt das Datum, and welchem das Kind dann „auszieht“? Muss das überhaupt ein festgelegter Termin sein? Meiner Erfahrung nach ist das eher ein schleichender Prozess.
Familien treffen ihre eigenen Entscheidungen
Der Punkt ist: jede Mutter und jede Familie trifft diese Entscheidungen für sich und ihr eigenes kleines Familiensystem. Und zwar jede einzelne Entscheidung. Und ggf. immer wieder neu.
Das darf anerkannt werden: wollte eine Mama zunächst unbedingt stillen, hatte aber einen schwierigen Stillstart und keine Unterstützung entscheidet sie sich vielleicht nach einigen Wochen abzustillen und nimmt so den unverschuldeten Stress aus dem Familienleben. Dafür will das Kind vielleicht überraschenderweise ausschließlich getragen werden, lässt sich so am schnellsten beruhigen und ist am besten gelaunt. Der vor der Geburt teuer angeschaffte Kinderwagen verstaubt derweil im Keller.
Das ist eine der Herausforderungen für Eltern: die eigenen Ansichten, Haltungen und Entscheidungen immer wieder hinterfragen, neu bewerten und ggf. anders entscheiden.
Learn to love the process 🙂
Was ist eigentlich "das Beste" für ein Kind?
Sicher gibt es diverse Studien, was isoliert betrachtet, „das Beste“ für ein Baby ist:
ja, Muttermilch ist die für Säuglinge vorgesehene Nahrung und wurde extra auf die Bedürfnisse des Babys abgestimmt von der Natur genau dafür konzipiert. Beim Stillen geht es aber nicht nur um die Muttermilch und die Vorteile des Saugens an der Brust, sondern eben auch darum, welche Unterstützung die Mutter hat, welche Vorbilder, welches Wissen und welche Ressourcen im Wochenbett und im weiteren Verlauf. Und da kann es durchaus sein, dass, wenn man das Gesamtbild betrachtet, es für diese Familie tatsächlich besser ist, wenn die Mutter abstillt, ggf. einfach teilweise.
KEINER kann werdenden Eltern prognostizieren, was für genau IHR Baby „das Beste“ ist und was genau „eine gute Mutter“ ausmacht.
Und ob diese Mutter dann „eine gute Mutter“ ist – wer kann das schon objektiv bewerten? Am ehesten noch die Kinder, wenn sie erwachsen sind. 😉
Bis dahin gilt: jede Mutter und jeder Vater gibt zu jeder Zeit ihr und sein Bestes.
Und Entscheidungen für die eigenen Kinder treffen die Eltern.
Eltern dürfen sich Unterstützung holen
Und dabei dürfen sie sich Rat, Unterstützung und jede möglich Hilfe holen, die sie für sich gerne in Anspruch nehmen wollen.
Ich stehe dafür, Eltern dabei ganzheitlich und undogmatisch zu begleiten. Ich informiere, kläre auf, zeige Handlungsoptionen auf. Aber ich betrachte immer das gesamte Familiensystem und respektiere die Haltung und Entscheidung der Eltern für ihr Kind. Das ist eines meiner festen Prinzipien.
Wie siehst du das? Was ist für dich wichtig in der Eltern-Kind-Beziehung?
Hinterlasse gerne einen Kommentar!